
Clean Core Extensibility: Zukunftssichere SAP S/4HANA-Erweiterungen und modernes ABAP
Warum Clean Core Extensibility das Spielfeld für SAP S/4HANA-Erweiterungen verändert
Viele SAP-Landschaften sind über die Jahre zu komplex geworden: kundeneigene Logik, direkte Tabellenzugriffe und nicht dokumentierte Schnittstellen bremsen Upgrades und Innovationen aus.
Mit dem Clean Core-Ansatz verfolgt SAP eine klare Strategie; Clean Core bedeutet, den Kern von SAP S/4HANA so sauber zu halten, dass er stabil, upgradefähig und langfristig wartbar bleibt. Gleichzeitig sollen Unternehmen die notwendige Flexibilität erhalten, ihre spezifischeren Anforderungen an SAP S/4HANA weiterhin in Erweiterungen umzusetzen.
Die Clean Core Extensibility schafft damit eine Chance, modernes ABAP und andere Technologien so einzusetzen, dass sie Innovationen beschleunigen und technische Schulden abgebaut werden.
Warum der Clean Core für SAP-Software entscheidend ist
Das ERP-System ist das digitale Rückgrat eines Unternehmens. In vielen Unternehmen wurde dieses Rückgrat über viele Jahre zunehmend individualisiert und an die besonderen Bedürfnisse des jeweiligen Unternehmens angepasst. Das Ergebnis ist oftmals ein System, das viele Modifikationen und On-Stack-Eigenentwicklungen enthält - bei Upgrades und Migrationen können sich so die folgenden Probleme ergeben:
- Fehlende Standardisierung: Fachbereiche arbeiten mit abweichenden, z.T. nicht definierten Prozessen.
- Übermäßige Individualisierung: Eigenentwicklungen greifen tief in den Standard ein.
- Schwache Datenqualität: Unterschiedlich gelebte Prozesse führen zu Inkonsistenzen und Ambiguität in den Daten.
Das Clean Core-Prinzip löst diese Probleme, indem es Standardprozesse schützt und z.B. Erweiterungen für SAP S/4HANA klar vom Kern entkoppelt. Das schafft:
Die vier Clean Core Level: Von "clean" bis "problematisch"
SAP hat sein bisheriges 3-Tier-Modell im Sommer 2025 weiterentwickelt und führt nun ein vierstufiges Clean-Core-Level-Konzept für SAP S/4HANA-Erweiterungen ein. Die Einstufung in die 4 Clean-Core-Level erfolgt nach ihrer Update-Sicherheit:
Level A – Die Königsklasse: SAP Build Extensions mit ABAP Cloud
Hier wird ausschließlich mit offiziell freigegebenen APIs und modernem ABAP Cloud gearbeitet. Level A-Extensions nutzen ABAP Cloud und können als On-Stack-Extension oder Side-by-Side-Extension implementiert werden:
Level B – Bewährte klassische APIs
Hier kommen die “alten Bekannten” zum Einsatz: BAPIs und etablierte Frameworks wie ABAP List Viewer (ALV) in Dynpro oder WebDynpro. Diese sind zwar nicht mehr ganz modern, aber gut dokumentiert und weitgehend upgrade-stabil für Clean-Core-konforme SAP S/4HANA-Erweiterungen.
Level C – Verwendung SAP-interner Objekte mit Risiko und Changelog
Anwendungen sind auf Clean Core-Level C, wenn sie interne Objekte verwenden, die technisch nutzbar sind, aber von der SAP nicht als freigegeben, empfohlen oder cloud-ready deklariert sind. Die Nutzung solcher Objekte wird offiziell nicht empfohlen und eine zukünftige Funktionsfähigkeit ist nicht garantiert. Allerdings finden sich unternehmensspezifische Entwicklungen in vielen SAP S/4HANA- oder SAP ERP-Systemen – die SAP wird daher ein Changelog für SAP-Objekte bereitstellen, das Kunden ermöglicht, bereits frühzeitig auf zukünftige Inkompatibilitäten nach Upgrades zu reagieren und kundeneigene Entwicklungen in ihren SAP-Systemen anzupassen, die solche Objekte verwenden.
Entwicklungen auf Clean Core-Level C sind daher nur bedingt als clean zu betrachten.
Level D – Nicht empfohlene Erweiterungsoptionen
Modifikationen, Zugriffe auf “noAPI”-Objekte, implizite Enhancements oder direkte Schreibzugriffe auf SAP-Tabellen gehören in Level D. Diese Erweiterungen sind nicht empfohlen. Sie gefährden die Clean Core-Prinzipien und sollten auf einer Sanierungsliste gesammelt und überarbeitet werden.
Objekte, die als “noAPI” klassifiziert sind, können über das Cloudification Repository identifiziert werden.
On-Stack vs. Side-by-Side: Wann nutze ich was für SAP S/4HANA-Erweiterungen?
Clean Core Extensibility kennt zwei Hauptwege für SAP S/4HANA-Erweiterungen:
Weg | On-Stack Extensibility | Side-by-Side Extensibility |
---|---|---|
Laufzeitumgebung | Läuft direkt in SAP S/4HANA | Läuft auf der SAP Business Technology Platform (SAP BTP) |
Geeignet für | Erweiterungen nah am Kern, wie z.B.
|
|
Technologie | modernes ABAP mit ABAP Cloud | ABAP, CAP, Java, JavaScript, Python |
Oft ist im Sinne eines hybriden Szenarios eine Mischung sinnvoll: Kernlogik on-stack, Benutzeroberflächen und Zusatzfunktionen side-by-side.
SAP Build als zentrale Entwicklungsplattform für Clean Core Extensibility
Mit SAP Build hat SAP eine einheitliche Plattform für Clean-Core-konforme SAP-Erweiterungen geschaffen, die sowohl Pro-Code- als auch Low-Code-Entwicklung unterstützt. Besonders interessant: Die Integration des KI-Copiloten Joule, der Entwickler/-innen beim Schreiben von modernem ABAP Code und der Workflow-Erstellung hilft.
Dieses mächtige Werkzeug soll die Entwicklungsgeschwindigkeit nach Clean Core Extensibility merklich erhöhen; besonders für gemischte Teams aus ABAP Cloud-Entwicklerinnen und -Entwicklern und Key Usern.
Die Realität: "Stay Clean" und "Get Clean" für SAP Erweiterungen
In der Praxis müssen Unternehmen zwei Herausforderungen parallel für ihre Clean Core-Strategie angehen:
Stay Clean – Neue SAP-Erweiterungen sauber halten
- Klare Governance-Strukturen für Clean Core Extensibility etablieren
- Jede Anfrage zur Erweiterung und Individualisierung kritisch hinterfragen
- (Halb-)Automatisierte Code-Quality-Checks für ABAP Cloud einführen
- Development Guidelines für modernes ABAP schaffen und durchsetzen
Get Clean – Bestehende technische Schulden in SAP S/4HANA-Erweiterungen abbauen
- Aktuellen Clean Core-Status mit KPIs messen
- Das Pfadfinder-Prinzip einführen: Code immer sauberer hinterlassen, als man ihn vorgefunden hat
- Realistische, aber ambitionierte Ziele zur Schuldenreduzierung setzen
- Legacy-Coud zu ABAP Cloud migrieren
Messbare KPIs für den Erfolg der Clean-Core-Strategie
Ohne Messung kein Management. Die folgenden KPIs sollten Sie für Ihre Clean Core-Strategie im Blick behalten:
- Clean Core Share: Wie viel Prozent Ihrer SAP S/4HANA-Erweiterungen entspricht welchem Level? Siehe SAP-Hinweis 3565942
- Technical Debt Score: Quantifizierte Bewertung der technischen Schulden
- ABAP Cloud Adoption Rate: Anteil der Extensions mit modernem ABAP
- Unused Code Share: Wie viel toten Code haben Sie im System?
- Business Modifications: Anzahl der Modifikationen am SAP-Standard
Was bedeutet Clean Core für Ihr SAP S/4HANA-System?
Der Clean Core wird zunehmend zur Notwendigkeit für zukunftsfähige SAP S/4HANA-Erweiterungen. Der Umstieg auf Clean Core Extensibility ist mit etwas Aufwand machbar - er erfordert allerdings eine klare Strategie, angemessene Governance und konsequente Umsetzung. Allerdings wird er sich zukünftig lohnen: Unternehmen, die jetzt nicht auf ABAP Cloud und moderne Clean Core-Praktiken umsteuern, werden mittelfristig Probleme bei System-Updates bekommen.
Eine spannende Herauforderung und gleichzeitig Chance stellt sich für Unternehmen, die aktuell noch auf SAP ECC setzen und den Sprung zu SAP S/4HANA planen. Für sie bietet sich die Chance, gleich mit Clean Core-konformen Erweiterungen in SAP S/4HANA und modernem ABAP zu starten und alte technische Schulden nicht mitzunehmen.
Fazit: Clean Core Extensibility – Jetzt handeln, später profitieren
Clean Core Extensibility mit ABAP Cloud ist mehr als ein technischer Trend – sie soll die Grundlage für die digitale Zukunftsfähigkeit Ihres S/4HANA-Systems werden. Unternehmen, die jetzt konsequent auf modernes ABAP und Clean Core-Prinzipien umsteuern, werden in einigen Jahren agiler und kostengünstiger handeln können.
Die Frage ist also nicht, ob sie Clean Core-Prinzipien für Ihre SAP S/4HANA-Erweiterungen umsetzen werden, sondern wie schnell Sie mit ABAP Cloud und Clean-Core-Prinzipien anfangen. Denn eines ist sicher: Der Druck auf Unternehmen mit “unsauberen” Extensions wird zukünftig steigen.
Häufige Fragen (FAQ) zur Clean Core Extensibility
Grundlagen und Clean Core Extensibility
Bedeutet Clean Core, dass ich gar keine individuellen SAP-Entwicklungen mehr machen kann?
Nein. Clean Core bedeutet nur, dass Anpassungen sauber und upgrade-stabil entwickelt werden müssen. Sie können weiterhin alle notwendigen Individualisierungen umsetzen – nur eben mit freigebenen APIs statt mit Modifikationen.
Kann ich auch in SAP ECC schon Clean Core-Prinzipien anwenden?
Ja, teilweise. Side-by-Side-Extensions auf SAP BTP funktionieren bereits heute mit SAP ECC. Für On-Stack-Entwicklungen sollten Sie zumindest klassische APIs (Level B) bevorzugen und Modifikationen (Level D) vermeiden. So schaffen Sie bereits jetzt eine bessere Ausgangslage für den späteren Umstieg auf SAP S/4HANA.
Wie erkenne ich, welches Clean Core Level meine bestehenden Extensions haben?
Nutzen Sie das ABAP Test Cockpit mit den entsprechenden Check-Varianten (siehe SAP-Hinweis 3565942). Diese analysieren automatisch Ihren Custom Code und ordnen ihn den entsprechenden Levels zu. Noch einfacher geht es über das RISE with SAP Methodology Dashboard.
ABAP Cloud und moderne Entwicklung
Was ist der Unterschied zwischen ABAP Cloud und "normalem" ABAP?
ABAP Cloud ist eine eingeschränkte, aber sicherere Variante von ABAP. Der Compiler erlaubt nur Zugriffe auf freigebene APIs und verhindert so “unsaubere” Entwicklungen. Dafür erhalten Sie Upgrade-Stabilität und Cloud-Readiness. Klassisches ABAP bleibt weiterhin verfügbar, ist aber nur eingeschränkt Clean Core-konform.
Kann ich meine bestehenden ABAP-Entwicklungen zu ABAP Cloud migrieren?
Das kommt auf den Code an. Saubere Entwicklungen mit freigebenen APIs lassen sich oft mit geringem Aufwand portieren. Coding mit Nutzung von SAP-internen Objekten oder Modifikationen erfordert größere Umbauten, beispielsweise die Schaffung von Wrapper-Funktionsbausteinen, die dann als Cloud-ready klassifiziert werden.
Muss ich für ABAP Cloud extra bezahlen?
Nein. Lediglich für SAP BTP für Side-by-Side-Extensions (Level A) fallen separate Kosten an.
Praktische Umsetzung
Wie lange dauert die Umstellung auf Clean Core Extensibility?
Das hängt von Ihrer aktuellen Codebasis ab. Die Governance-Strukturen können Sie sofort für neue Entwicklungen in Ihrer SAP-Systemlandschaft einführen. Bestehender Code sollte schrittweise saniert werden; planen Sie hierfür 2-3 Jahre ein, je nach Umfang Ihrer Extensions.
Welche Extensions sollte ich zuerst sanieren?
Priorisieren Sie Erweiterungen auf Level D (Modifikationen, noAPI), da diese das höchste Risiko darstellen und bei Upgrades schnell zu Aufwandstreibern werden. Danach folgen Level C-Erweiterungen, die häufig genutzt werden oder geschäftskritisch sind.
Was passiert mit meinen Erweiterungen beim nächsten SAP-Upgrade, wenn sie nicht Clean Core-konform sind?
Level-D-Extensions können bei Updates und Upgrades Fehler verursachen. Level-C-Extensions erhalten durch den SAP-Changelog eine Vorwarnung bei inkompatiblen Änderungen. Level A und B sind upgrade-stabil.
Was mache ich, wenn es für meinen Use Case keine freigegebene API gibt?
Sie haben 3 Optionen:
1. Bei SAP eine Freigabe anfragen
2. Temporär eine Level-C-Erweiterung entwickeln und den Changelog für SAP-Objekte beobachten
3. Den Use Case mit Side-by-Side-Extensions lösen
Clean-Core-Strategie
Was kostet die Umstellung auf Clean Core und wann rechnet sich das?
Die Initialkosten für Governance-Aufbau und Code-Sanierung amortisieren sich typischerweise binnen einiger Jahre durch reduzierte Upgrade-Kosten und schnellere Entwicklungszyklen. Neue Projekte sind mit Clean Core sogar oft günstiger.
Kann ich die Clean-Core-Prinzipien auch schrittweise einführen?
Ja, das ist sogar der empfohlene Weg. Die Clean-Core-Prinzipien sollen eine Leitlinie sein, die Ihnen zur Orientierung bei der Implementierung Ihrer SAP-Erweiterungen helfen soll. Starten Sie mit neuen Entwicklungen nach Clean-Core-Prinzipien und sanieren Sie bestehenden Code sukzessive. So können Sie sukzessive Erfahrungen sammeln.
